Supermärkte sind voll von genormten Lebensmitteln. Um den hohen Verbraucheransprüchen gerecht zu werden, wird nonkonformes Obst und Gemüse aussortiert.
Doch erste Entwicklungen in der Lebensmittelbranche zeigen, dass in Zukunft unkonventionelle Lebensmittel in den Verkaufsregalen landen könnten.
Die Natur ist kein einwandfreier Produzent. Neben krummen Gurken und mehrteiligen Karotten kommen die erstaunlichsten Formen zustande. Was auf natürliche Weise wächst, ist nicht geradlinig und einheitlich. Doch in den Supermärkten sieht es anders aus. Solch ungewöhnliches Obst oder Gemüse ist dort nicht zu finden. Im Gegenteil, die Frischobst- und Gemüse-Abteilung gleicht vielerorts einer fehlerfreien Präsentation sämtlicher Sorten. Eine Erdbeere gleicht der anderen und unter dem Gemüse könnte es kaum geordneter zugehen.
Grund ist der hohe Kunden-Anspruch. Was nicht makellos aussieht, bleibt liegen und wird entsorgt. Doch in den letzten Jahren hat sich viel getan. Das Verbraucherbewusstsein für Umwelt und Nachhaltigkeit unterliegt einem starken Wandel. Bio muss es heute sein.
Jetzt reagieren die ersten großen Vertreter der Lebensmittelindustrie. Edeka testet unter dem Motto „Keiner ist perfekt“ den Verkauf von Gemüse und Obst, das nicht der gängigen Norm entspricht. Ausgewählte Netto-Märkte wurden für den vierwöchigen Test ausgewählt.
Der Mitbewerber Rewe startete erste Versuche des Abverkaufes in Österreich Anfang Oktober. Mit den Marken Merkur, Billa und ADEG werden nonkonforme Lebensmittel als „Wunderlinge“ angeboten. Präsentiert wird dort Ware, die in Sachen Qualität nach wie vor keinen Grund zur Beanstandung gibt. Lediglich optisch bestehen Unterschiede. Karotten, Äpfel und Kartoffeln sind die ersten Testobjekte.
Alfred Probst von Rewe International erklärte, dass diese Ware bisher ausrangiert wurde. Sie diente als Tierfutter, wurde im Ausland vermarktet oder in der Industrie verarbeitet. Oder sie blieb direkt am Feldrand liegen. In der Schweiz geht Coop mit gutem Beispiel voran. Seit August wird das individuellere Obst und Gemüse verkauft.
Sparfüchse kommen bei diesen Aktionen auf ihre Kosten. Bei Rewe werden nonkonforme Lebensmittel in einem separaten Regal zu günstigeren Preisen verkauft.
Karotten werden im 2-Kilo-Sack zum gleichen Preis angeboten, wie 1-Kilo herkömmliche Karotten erster Klasse. Zwar wird seitens Rewe behauptet, dass hinter der Aktion keine wirtschaftlichen Gründe stecken. Prüfen lässt sich das nicht.
Es bleibt zu vermuten, ob die Supermarktkette daraus Schlüsse für die zukünftige Sortimentsgestaltung zieht.
Bestätigt wurde, dass es für Erzeuger der Lebensmittel profitabler sei, die „Wunderlinge“ so anzubieten, statt sie an die Industrie zum Weiterverarbeiten abzugeben.
Dass es für die Zukunft maßgebend ist, von der Wegwerfkultur Abstand zu nehmen, steht außer Frage.
Die Umsetzung jedoch gestaltet sich schwierig. Zwei Ziele sind erstrebenswert. Zum einen werden Bauern unterstützt, weil sie zusätzliche Lebensmittel verkaufen können. Schließlich ist der Lebensmitteln-Anteil, der nach den Normen nicht an die Lebensmittelindustrie verkauft werden kann, enorm.
Rund 20 bis 40 Prozent der europaweiten Ernte schafft den Weg in den Handel nicht! Zum anderen geht es um die Verbraucher-Sensibilisierung.
Es ist ein Versuch die Wertschätzung für regionale Lebensmittel und dessen Qualität zu verstärken.
Es könnte ein attraktives Gegenmodell zur Wegwerfkultur werden. Als Zeichen dagegen werden die laufenden Projekte der Supermärkte von Greenpeace begrüßt.
Es könnte der Verdacht entstehen, die hohen Mengen an ausrangierten Lebensmitteln entstehen aufgrund der EU-Vermarktungsnorm. Da seit Juli 2009 beispielsweise Kohl, Gurken und Karotten mit Makel erlaubt sind, ist die Entwicklung zum perfekten Lebensmittel auch dem Verbraucher zuzuschreiben.
In einer Studie der EU-Kommission stellte sich heraus, dass das Abschaffen der Vermarktungsnormen fast nicht wahrgenommen wurde. Die Nachfrage fehle. Bestätigt wurde die fehlende Nachfrage für Deutschland von der Bundesvereinigung der Erzeugerorganisation Obst und Gemüse e.V.
Sainsbury´s, eine britische Supermarktkette hatte 2012 mit einem ähnlichen Experiment begonnen. Aufgrund eines vernichtenden Sommers wurde aus der Not heraus unkonventionelles Obst verkauft, um den Bauern entgegen zu kommen. Die Ergebnisse waren gut. Insgesamt wurden in der Saison 2012/2013 200 Millionen Birnen und Äpfel verkauft. Ein Drittel der Ware entsprach nicht den Normen.
Aufgrund des Erfolgs wurde der Verkauf beibehalten. Auch in Österreich scheinen die Verbraucher toleranter zu sein. Die Ergebnisse sind zufriedenstellend. Rewe will mit der Übertragung der Idee abwarten, bis aus Österreich Erfahrungswerte vorliegen. Edeka setzt auf Kunden-Aufklärung, um zu sensibilisieren.
In Deutschland scheint das Thema Nonkonforme Lebensmittel noch nicht zu fruchten. Grund dürften die letzten zwei Jahrzehnte sein. Sie prägten das Verbraucherverhalten. Kunden sind an einwandfreie Lebensmittel gewöhnt. Die strenge EU-Vermarktungsnorm, die bis 2009 galt, hat zur Kundenerziehung beigetragen. Dass Lebensmittel mit Makeln gesünder sein können, wissen viele nicht.
Wer ungerade oder mehrbeinige Karotten kauft, darf sich meistens auf pestizidfreies Gemüse freuen. Denn das natürliche Wachstumsverhalten entsteht, wenn Fadenwürmer im Boden unterwegs sind. Sie sorgen häufig dafür, dass Wurzelgemüse verzweigt wächst. Sind Pestizide im Spiel gibt es keine Würmer. Ähnlich verhält es sich bei zahlreichen Sorten.
Weiterhin streng genormt sind in der EU die zehn umsatzstärksten Obst- und Gemüsearten wie Äpfel und Tomaten. Sie machen beim Handelswert 75 Prozent aus. Das Landwirtschaftsministerium spricht sich für eine Abschaffung der Normen aus.
Jetzt liegt es am Verbraucher über diese Thematik ernsthaft nachzudenken und von den Normen Abstand zu nehmen. Da die Nachfrage das Angebot bestimmt, haben Verbraucher mehr Macht als angenommen.
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